Historischer Studienkreis Hamburg / Berlin


 

Referat 


in der Lehrveranstaltung  Historische Baukonstruktionen  bei Udo Bode, WS 2000/2001
im Aufbaustudium Denkmalpflege (ASD) an der Technischen Universität Berlin


Ausführender: Dipl.-Ing. André Schlecht, ASD (Matr.Nr. 198729)
Zeitpunkt des Referates:13.12. 2000


Bearbeitung für das Internet: 1.1. - 4.1. 2001


 
 
 
 
 
Tafel 1   Idealtypische Festungsanlage vor der Modernisierung (um 1880)

 
 
 
 
 
Einführung in die Konstruktion französischer Festungswerke des späten 19. Jahrhunderts
unter besonderer Berücksichtigung aktueller Bauschäden im Massivbau (Mauerwerk/Beton)
am Beispiel der ehemaligen Festung Verdun (Nordost-Frankreich)

 
1. Historischer Hintergrund:

Nach Ende des deutsch - französischen Krieges 1870/71 wird die Ostgrenze Frankreichs durch ein engmaschiges Netz solitärer und gruppierter Festungsanlagen gegen Deutschland abgeschottet. Nach der Annexion Elsaß-Lothringens durch das Deutsche Kaiserreich verläuft der Festungsgürtel in nordsüdlicher Richtung etwa entlang der Flüsse Meuse und Moselle  von der belgischen bis zur schweizer Grenze. Dieses Festungsbauprogramm, das in mehreren Phasen bis zum Ersten Weltkrieg andauert,  wird nach seinem Planer als die „Ligne (General) Séré de Rivières“  bezeichnet. 
Vier befestigte Städte (von Norden nach Süden: Verdun - Toul - Epinal - Belfort) mit jeweils mehreren dutzend Einzelanlagen werden durch solitäre Festungen im Zwischenfeld verbunden. 
Verdun galt als stärkste Festung und nördlicher Eckpfeiler Frankreichs, strategisch bedeutend weniger als 50 km westlich des hochindustrialiserten, deutsch besetzten lothringischen Kohlereviers gelegen. Die Höhenzüge beiderseits der Maas bilden gegen etwaige Angriffe eine topographische Hürde und eignen sich ideal für  die Anlage von Bollwerken. 

Plan der Festung Verdun
Idealtypische Festungsanlage
 

 
 
 
 
 
Tafel 2.1

Fort Marre (um 1880): 
Erste Bauphase (reines Mauerwerk). 

Tafel 2.2

Fort Marre (um 1900):
Zweite Bauphase (Betonverstärkung).

Tafel 2.3

Fort Douaumont nach der Verdun - Schlacht (1917):
Totale Einebnung aller Oberbauten.

Siehe auch Galerie 1, Bild 14


 
Tafel 2.4   Schal - und Betonierphasen - Plan zur Zeit der Modernisierung (Vaux, um 1890).

 
2.  Bauausführung (Tafeln 1 und 2):
Zur Bildergalerie 1 (Konstruktionen)

Politische Krisen, nur wenige Jahre nach dem Krieg, führen um 1875 zu überstürzten Baumaßnahmen (sogenannte „Panikforts“) mit dem Ergebnis erheblicher  Konstruktionsmängel. Erst über die nächsten Jahrzehnte wird der Festungsbau nach dem ursprünglichen Plan mit mehr Muße und Sorgfalt betrieben und wehrtechnisch ständig aktualisiert. 

2.1 Bauphasen und Standardkonstruktionen:

1875-85      Sogenannte Panikforts und Zwischenwerke als reine Mauerwerksbauten (Bruch/Werksteingewölbe). 
1885-1900  Neubauten und Verstärkungen (Überschüttungen) durch unbewehrte Betongewölbe, später unter 
                   Wegnahme der Mauerwerksbauteile. 
ab 1900     Sämtliche Neubauten werden in Stahlbeton ausgeführt. Typisch sind flach gewölbte 
                   (segmentbogenartige), für kleinere Räume auch ebene Decken sowie die „kubische“ Bewehrung (dieses 
                   Prinzip wird auch 40 Jahre später im Atlantikwall verwendet). 
(1916-18)    - für das Referat nur der Vollständigkeit halber -
                   Anlage aufwendiger Stollensysteme unter sämtlichen Festungswerken und im Freigelände, ausgeführt in 
                   bergmännischer Manier durch Tiefbauingenieure und Bergbau-Pioniere. Reguläre zweischalige Lösungen 
                   (Felsstollen, durch Holzrahmen gesichert und häufig plattenverkleidet), teilweise in den 20er/30er Jahren 
                   nachbetoniert (Betonfertigteile, durch Quellbeton vergossen); Aufenthaltsräume werden durch steinsches / 
                   halbsteinsches Mauerwerk abgeteilt. Es entstehen kilometerlange Galerien mit Kasernen- und 
                   Maschinenzellen, bombensicher bis zu mehrere dutzend Meter abgetieft, künstlich belüftet und durch 
                   Gasschleusen abgeschottet. Diese Anlagen dienen als Vorbild für die spätere Maginotlinie

                  Zur Bildergalerie 3 (Stollen)

2.2 Formale Betrachtung:

Herausstechendes Kriterium zur  funktionalen Wertung der Bauten ist ihr  formaler und technischer Anachronismus
a) Durch die rasante Entwicklung der Waffentechnik sind die Bauten in der Regel nach jeweils 10 Jahren -die Panikforts bereits zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung! - völlig veraltet, insbesondere bezüglich der Mauerstärken, der (geringen) Eintiefung gemauerter Verbindungsgalerien, der Lage von Grabenstreichen (feind- oder freundwärts?) sowie der Artillerie-Bestückung (ursprünglich noch freistehend auf den Wallanlagen!). 
b) Wichtiger aber scheint der ideelle Hintergrund: Enstprechend der historisierenden und eklektizistischen Architektursprache des späten 19. Jahrhunderts werden die Festungen ohne Berücksichtung ihrer funktionalen Dominanz wie Zivilbauten historischen Vorbildern nachempfunden: 
- Der Festungsgrundriß folgt weitgehend den Barockanlagen Vaubans (um 1680!). 
- Sämtliche Oberflächen (selbst untergeordneter Bauteile wie Remisen und Grabenstreichen) zeichnen sich als rustizierende italienische Renaissancefassaden mit aufwendiger Bossierung, auskragenden Ziergesimsen und pseudo-römischen Bögen aus. Regenrohre werden als dorische Säulchen angelegt. 
- „Barocke“ Torhallen, Zugbrücken (!) und achsiale Durchfahrten erscheinen repräsentativ wiewohl militärisch sinnlos. 
- Bis unmittelbar  vor den Ersten Weltkrieg wird der formale Kanon nicht modifiziert: 
Sämtliche Betonbauteile werden (aus ästhetischen Erwägungen) durch bossierte Putzflächen bzw. Strukturschalungen, (nichttragende) Lisenen sowie Kraggesimse als Mauerwerk „getarnt“. 

2.3 Konstruktive Details und Bauphysik:

Kasernenhallen, Pulvermagazine und Kasematten verfügen oft über zweischalige Systemlösungen für Entwässerung, Entlüftung und zur Ableitung von Kondensat: 
- für unterirdische Gewölbe zumeist innenliegende Hinterlüftung (halbsteinsches Brüstungsmauerwerk bis auf 1m Höhe, darüber  Lattung+Brettschalung). 
- für  oberirdische Kasernenräume Entlüftung über große Rohrquerschnitte im oberen Gewölbezwischenraum (runde Entlasse in den Fassaden). 
- Pulvermagazine mit aufwendiger Umgangslösung: Allseitiger Kriechgang zur Dekompression (im Falle einer Explosion) dient auch der Hinterlüftung+Entwässerung (Trockenhaltung des Pulvers). 
- Anwendung der Preußischen Kappe als Sonderkonstruktion in Grabenstreichen. Interessanter Exkurs: 
Gegenseitige architektonische Anleihen der „Erbfeinde“ nach dem deutsch - französischen Krieg, so z.B. diverse deutsche Wasserwerke mit franz. Festungs-Fassaden ausgeführt (damals als „ideelle Kriegsbeute“ verstanden!). 
 


 
Tafel 3.1   Übersicht über die wichtigsten Bauphasen (Skizze vom Verfasser).
Tafel 3.2   Mehrschalige Systemlösungen zur Ableitung von Kondensat und Brauchluft (v. Verf.).

 
 
 
 
 
3. Bauschäden:
Zur Bildergalerie 2 (Schäden)

Die Festungswerke von Verdun eignen sich aufgrund folgender Faktoren hervorragend zur Betrachtung idealtypischer Massivbauschäden im Spannungsfeld zwischen Beton- und Mauerwerksbauteilen: 
a) Eigendynamik:   Gebäude werden (teilweise seit acht Jahrzenten) nicht mehr genutzt, bauphysikalische + 
                             haustechnische Anlagen funktionieren nicht mehr, Wetterschäden werden nicht beseitigt, dichter 
                             Bewuchs überzieht die Bauten. 
b) Einwirkungen:   - Klimatische: Niederschlagsreich (Lothringische Hochebene und Maashöhen). 
                            - Geologische: Hoher Kalkgehalt im Umgebungsgestein, Mörtel, Mauerwerk und Beton 
                            (Gips-und Kalktreiben). 
                            - Konstruktionsmängel durch rasche Bauausführung und unsachgemäße Nachbauten 
                            (Betonüberschüttungen, Stollen-Unterfangungen) sowie mindere Betonqualitäten. 
                            - Kriegsfolgeschäden: Risse und Setzungen durch Erschütterungen;auch aggressive Wässer 
                            (Kontamination durch herkömmliche und chemische Kampfstoffe). 

3.1 Kleine Typologie der Schadensfälle:

1) Irreguläre Schäden = Direkte Kriegseinwirkungen:
           • Totalzerstörungen (Solitäre Durchschläge oder  Flächenbombardement mit Abtragung sämtlicher Oberbauten). 
           • Kriegsfolgeschäden (Risse, Verschiebungen, Setzungen und aggressive Wässer), zumeist Begünstigung von 
           Wasserschäden durch erleichtertes Eindringen, Durchfeuchtung und/oder erhöhte Reaktivität. 
2) Reguläre Schäden 
= Umwelteinflüsse, Konstruktionsmängel und natürliche bauchemische Reaktionsprozesse:
           Setzungsschäden
           • Wasserschäden
           •Bewuchsschäden
           • Carbonatisierung des Betons (immer im Kontext mit Wasserschäden), 
- Fazit: Erhöhte Intensität von  Beton- und Eisenkorrosion  im Vergleich zur Schädigung der Mauerwerksbauteile. - 
           • Schäden in den Kriegsstollen können in diesem Zusammenhang nur am Rande betrachtet werden, da die 
           Fels- und Holzkonstruktionen ganz andere Schadensbilder aufweisen; eine Beurteilung ist zudem schwierig, da 
           die Anlagen nur für vorübergehenden Gebrauch konstruiert und selten fertiggestellt wurden; die Nutzung und 
           Verwahrlosung durch Militärübungen (und Touristen) in jüngerer Zeit hat zudem das ursprüngliche Bild verzerrt 
           (Stichwort: Entfernung der Holzrahmen für mehr Bewegungsfreiheit). 

• Setzungen: • Ungleiche Setzungen/Grundbruch, begünstigt durch nachträgliche Verstärkungen 
                      (Überschüttung durch Betonbauten) oder  minderwertige Fundamente (z.B. Tavannes, Neue Kaserne). 
                      • Durchbrüche in unterirdische Hohlräume durch den Einsturz nachträglicher Unterfangungen 
                      (Stollen),  Schäden zumeist erst in jüngerer Zeit (z.B. Belleville, rechte Remise). 

• Wasserschäden machen das Gros der Bauschäden aus: 
- Grundsätzlich gilt: Wasser als Transport- (Salze) und Lösungsmittel  sowie Reaktionspartner (Kalk+Gipstreiben) - 
                      • Steigwasser gering, da durchlässiger Kalkstein; Tiefkasernen, Zisternenräume und Stollen 
                      jedoch oft geflutet durch bauteilspezifische Sperrschichten oder undurchlässige Steinpackungen. 
                      • Sickerwasser und Bodenfeuchtigkeit, begünstigt durch Kalksteinboden und weitgehend 
                      eingetiefte Bauwerke). 
              a)  Mauerwerk: Massive Kalk/Gips-Ablagerungen durch Lösung des Fugenmörtels und des Umgebungs- 
                      Felses bei nur geringfügiger Zersetzung des Werksteines; auffallend rasch fortschreitende 
              Kalksinterbildungen („Tropfsteine“: Stalagmiten+Stalaktiten; z.B. Douaumont). 
              b) Beton: Vollständige Durchdringung sämtlicher Betonbauteile und aggressive Reaktivität (zumeist 
                      durch Konstruktionsmägel begünstigt, s.u.) mit z.T. großflächigen Zersprengungen (z.B. Vaux). 
Fazit:        Mauerwerksbauteile weisen eine ungleich höhere Resistenz gegen Belastungen durch kalk/gipshaltige 
                Wässer auf als Betonbauten. Die Statik der Mauerwerksgewölbe ist zumeist kaum gemindert, die 
                Oberflächen wirken z.T. „wie neu aufgemauert“. 
                Es läßt sich dagegen für beinahe jedes Betonbauteil eine mind. latente Einsturzgefahr diagnostizieren. 
                Decken geringer Stärke sind z.T. bereits durchgebogen bzw. eingestürzt, Decken großer Querschnitte 
                halten nur noch durch die innere Gewölbewirkung. 
Die Schadensanfälligkeit des Betons ist ein selbstverständliches Resultat seiner chemischen Zusammensetzung.  Durch die hohe Reaktivität des Zementes (auch im scheinbar abgebundenen Zustand) weist der "Kunststein" Beton gerade Witterungsprozessen gegenüber eine weitaus geringere Resistenz auf als vergleichbare Natursteine (sonst hätten ihn sicher schon früher natürliche geologische Prozesse hervorgebracht!). 
Somit gilt stets: Unverkleideter Beton an Außenbauteilen ist eine sichere Basis für rasche Bauschäden! 

• Bewuchsschäden: 
                      • Durchdringung von Wurzelwerk. 
                      • Anhäufung von Geäst / Laub. 
= (grundsätzlich:) Begünstigung von Wasserschäden durch Risse und Stauungen, (manchmal:) Ursache von Einstürzen (z.B. Stollendecken). 

Carbonatisierung des Betons:
Zur Chemischen Reaktion: Calziumhydroxid Ca(OH)2 im Zementstein reagiert durch Zudringen von H2O und CO2 zu 
Calciumcarbonat CaCO3 (=Kalkstein). Diese natürliche Evolution („Kalkkreislauf“) geschieht umso schneller je höher der Wasserdruck bzw. die Luftfeuchte ist. Günstige Voraussetzungen für das Eindringen in den Beton sind zudem Konstruktionsmängel (ungünstiger Wasserzementwert, grobkörnige Sieblinie etc. = Erhöhte Porösität) bzw. Beschädigungen durch Risse und Oberflächenverletzungen (insbesondere durch Eisenkorrosion, zumeist infolge mangelhafter Betondeckung). Aggressive bzw. kalk-/ gipsreiche Wässer  sorgen für eine gesteigerte Reaktivität. 
Der Korrosionsschutz der Stahleinlagen ist nur solange gewährleistet, wie der Beton(Zement)stein ein basisches (alkalisches) Milieu bildet: Ca(OH)2 ist stark basisch, der „abgebundene“  Kalkstein CaCO3 aber schwach basisch bis neutral - Eindringendes CO2 und H2O reagiert nunmehr mit dem Eisen zu Eisenoxid („Rost“) FeO (unter erheblicher Volumensvergrößerung = Abplatzungen) . 
Fazit: Die Betonbauteile der Festungswerke sind durch sämtliche Negativfaktoren belastet, so daß eine rasante Zersetzung der Oberfläche wie des inneren Gefüges geschieht. Es dürften alle Betonbauteile weitgehend durchcarbonatisiert sein; ganze Bewehrungslagen sind komplett aufgelöst (z.B. Froideterre, I-Werke). 

• Stollenbauten: • Betonstollen meist erstklassig erhalten (hohe Qualität, geringe Schadensfaktoren). 
                         sämtliche Holzbauteile sind - wenn nicht entfernt! - weitgehend zersetzt (Durchfeuchtung und 
                            auffallender Insektenbefall (Mückenschwärme sind ein Indiz für eine sehr hohe, Holzbauteilen 
                            gegenüber ungünstige Luftfeuchtigkeit!). 
                            • Felsstollen nach Qualität des Umgebungssteines in unterschiedlicher Erhaltung: Schiere 
                           Oberflächen (dichte Steinlagen) bis komplett verstürzt (kieselige Kalkerden), durch Wurzelwerk und 
                           Auflast zunehmend durchbrochen. 

                   Zur Bildergalerie 3 (Stollen)
 


 
4. Kleine Bibliographie:

- Barros, Martin: Les Fortifications de la place de Verdun 1874-1918, Editions Serpenoise (Ministere Culture) (1996) 
- Batran u.a.: Fachwissen Bau für Maurer, Beton- und Stahlbetonbauer, Verlag Handwerk und Technik (1992) 
- Dr. Egger, Martin: Die Stollenbauten in den Forts von Verdun während der Schlacht, IBA-Information 9 (1987) 
- ders. : Der französche Festungsbau in den Jahren 1874-1885, IBA-Information 13 (1998) 
- Schalich, Günther: Kleiner  Führer zu den Festungsanlagen von Verdun, IBA-Sonderheft 15 (1990) 
- Werth, German: Verdun - Die Schlacht und der Mythos, Bastei-Lübbe-Verlag (3. Auflage 1987) 
 


 
 
 
 
 
Plan  der Festung Verdun - Anlagen mit "schwarzen Spots" sind in einer der Bildergalerien berücksichtigt.

 
 
 
 
 
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Kapitel 2: Das Petit Depot im Chenois
Kapitel 3: Dokumentation ausgewählter Fortifikationen
Kapitel 4: Dokumentation des Fort Tavannes
(zu Kapitel 5): Stollenbauten unter dem Fort Tavannes
Kapitel 6: Topographische Strukturfragmente und Tiefbauten auf der Höhe Mort Homme
 

Zu den Bildergalerien (Diashow Referat)

Galerie 1 (Konstruktion)      Galerie 2 (Schäden)     Galerie 3 (Stollen)