Historische Einführung
Seit unserem ersten Besuch in Verdun 1988 galt dem Fort Tavannes
immer wieder unser besonderes Interesse. Zwar ist es heute sehr stark verwachsen,
so daß sich nur schwer ein Gesamteindruck der Befestigungsanlage einstellen
will, die enorme Vielzahl an günstigen und lohnenden Photopunkten rechtfertigte
jedoch zu jeder Zeit einen erneuten Besuch. Wie kaum eine andere Festung in
Verdun bietet Tavannes, eingebettet in das Dunkel des aufgeforsteten Waldes,
eine besonders dichte Atmosphäre. Immer wieder nötigt der dichte
Bewuchs und der mäßige Erhaltungszustand einiger Eingänge
vor Ort zu einem orientierenden Blick auf den Festungsplan.
In den Jahren von 1876 bis 1879 wurde Fort de Tavannes im Stil der
Panikforts um Verdun in kurzer Zeit errichtet. Zwischen 1889 und 1890 wurden
Teile der Befestigungen, wie die nördliche Hofkaserne, betoniert. Zu
Kriegsbeginn 1914 verstärkte ein etwa 30 m breites Drahthindernis die
Wehrfähigkeit der Anlage.
Tavannes besaß zwar eine gepanzerte Artilleriebeobachtungsglocke
und zwei während des Krieges aber nach der Verdunschlacht errichtete
Pamard-Kasematten jedoch keine eigenen Geschütztürme. Als Bewaffnung
standen während der deutschen Angriffe im Sommer 1916 lediglich 12
MGs und zwei 5,8 cm Geschütze zur Verfügung. Bereits im Frühjahr
war die Festung von der deutschen Artillerie mit Kalibern bis zu 42 cm beschossen
worden.
Die Festung blieb stets in französischem Besitz, die äußerste
Frontlinie näherte sich indes bis auf ca. 850 m, so daß es der
französischen Besatzung notwendig schien, nach dem Vorbild des Fort
Moulainville, unterirdische Schutzräume zu errichten.
Bereits Mitte 1916 war mit der Anlage eines großangelegten
Stollensystems von bis zu 10 m Tiefe begonnen worden. Dieses Stollensystem
von insgesamt etwa 1 km Länge, in dem noch heute u.a. die Reste von Gleisen
der alten Feldbahn sowie Gasschutzschleusen und die allerdings sehr schlecht
erhaltene Maschinerie zur künstlichen Belüftung zu finden sind,
ist von besonderem Interesse. Die unterirdischen Verbindungen zu den Pamard-Kasematten
sind heute zerstört, bzw. zumindest in einem so schlechten Zustand,
der es uns geraten erscheinen ließ, diese nicht mehr zu betreten. Der
geplante Stollen zum Tunnel de Tavannes ist vermutlich nie fertiggestellt
worden. Zahlreiche Räume und Gänge des Kasernenbaus sind noch
immer mit dem Aushub der Stollenarbeiten angefüllt.
Kleiner Tourguide:
Die Oberbauten im Einfahrtsbereich - auch die mittlere Durchfahrt
auf ganzer Länge - sind vollständig oder teilweise zerstört,
so daß Kehlgraben, Wallanlagen und Innenhöfe sich kaum noch unterscheiden
lassen. Sehr schön erhalten sind die betonierten unterirdischen Zugänge
, welche eine eindrucksvolle Motivfolge bieten.
Faszinierend ist der Kontrast der alten und der neuen Kaserne: Erscheint
die alte, gemauerte Kaserne als eine Bild der Verwüstung, wobei die
ehemalige Doppelstöckigkeit sich kaum noch erahnen läßt (Anlage
ursprünglich wie
La Chaume
), ist die neue, betonierte Kaserne fast schadlos erhalten, wobei der erste
(negative) Eindruck des Setzungsschadens im Zugangsbereich den Besucher durchaus
täuscht.
Beide Kasernenteile haben ihre Reize: Einerseits die morbide Atmosphäre
der Vergängnis im alten, andererseits die großzügigen Gewölbe
im neuen Bereich.
Die betonierte Kaserne bietet manches Detail v.a. im (durch Abraum
zugesetzten) Zugangsbereich zur mittleren Durchfahrt, so eine bestens
erhaltene zweiflügelige Tür und den Brieftauben-Verschlag.
Im betonierten Hohlgang zu den nördlichen Remisen ist eine Schikane
aus der Zeit der Verdun-Schlacht erhalten. Auf den bossierten Fassadenflächen,
welche Mauerwerk vortäuschen, sollten die Details gleichsam beachtet
werden, wie auskragende Ziergesimse und Fragmente von Fallrohren in Gestalt
kleiner Säulchen (im Winkel zur Hauptdurchfahrt).
Die gemauerte Kaserne bietet schon äußerlich eines der
stimmungsvollsten Ensemble in Verdun, läßt aber auf den ersten
Blick kaum vermuten, daß im östlichen Bereich das Untergeschoß
komplett erhalten ist und reiche Motive aufweist. Es lohnt sich, die wenig
einladenden Eingänge zu durchqueren, da sich sogleich gut erhaltene
Innenräume weiten, welche zwar teilweise vom Stollenaushub aufgefüllt
sind, ansonsten aber in sehr gutem Zustand bestehen. Oft sind sogar noch
die Bettgestelle in situ verblieben!
Die westliche Kaserne ist vollständig ruinös und nicht ungefährlich,
wie die Deckendurchbrüche in die gefluteten Zisternen
verdeutlichen!
Durch die einzige unverschüttete Öffnung der ehemaligen Hauptdurchfahrt
sollte der Besucher unbedingt die mittlere Grabenstreiche aufsuchen,
wobei (nach der Durchquerung des Durchschlagsbereiches eines Geschosses
vom Kaliber 42 cm) eine ungewöhnlich gut erhaltene Tür mit Aufschrift
"Caponnière centrale" den Weg weist. Achtung: In der wohlerhaltenen
Grabenstreiche befindet sich ein riesiger, senkrechter Schacht von
erheblicher Tiefe (gut 15 m), der wohl für die Fahrstuhl-und Treppenanlage
in das Stollensystem vorgesehen war. Die akzeptable Außenbeleuchtung
und die Eindeutigkeit der Schachtränder kann zu Unachtsamkeit verleiten!
In der betonierten Kaserne befinden sich zwei Abstiege in das Stollensystem
, welche in einem unterschiedlichen Erhaltungszustand sind. Es sei der südliche
(nach üblicher Begehungsrichtung "zweite") Abgang angeraten,
da der nördliche unter Abscheren größerer Deckenplatten
leidet. Beide Abgänge sind steile, zumeist glitschige Schleppschächte
und wirken wenig verlockend. So verwundert es, wenn sich am Fuße ein
Stollengewirr ungleich besserer Erhaltung und durchaus großzügiger
Querschnitte öffnet. Die unbetonierten Tavannes-Stollen bieten
sich sicherlich nicht für eine Erstbegehung an (nach der Zusetzung
der Stollen in Moulainville und der Verbindungsgalerie unter Froideterre
sei Rozelier
vorgeschlagen), weisen aber von allen gleichartigen (Fels)anlagen sicherlich
den besten Erhaltungszustand auf (Stand unserer Letztbegehung: Juni 2000).
Neben eindrucksvollen Details wie insbesondere dem noch voll ausgestatteten
Maschinenraum, wirkt v.a. die Existenz zweier Ausgänge
und mehrerer Parallelstollen (im Unterkunftsbereich) beruhigend! Trotzdem
sollte die z.T. erhebliche Einsturzgefahr nicht vergessen werden, da teilweise
dichtes Wurzelwerk bereits durch die Decken wächst!
Die Verbindunggalerien zu den Außenanlagen sind entweder bereits
vollständig eingestürzt (Stollen zur erwähnten Grabenstreiche)
oder in praktisch unbegehbarem Zustand (Stollen zu den Pamard-Kasematten).
Anfang der 90ger Jahre haben wir einzig die Galerie zum Blockhaus noch auf
gut hundert Meter durchquert, ohne allerdings bis zum Steigschacht zu gelangen
- der jedoch, wie aus der Veröffenlichung von M. Egger (IBA-Informationen,
Sammelband 3 (1993): Die Stollenbauten in den Forts von Verdun während
der Schlacht) hervorgeht, ohnehin über keine Treppe verfügt.
Die Oberflächen des Fort Tavannes sind wenig spektakulär.
Auf dem Kasernendach findet sich eine einzige Beobachtungsglocke,
die den beschwerlichen Aufstieg nicht lohnt. Die Remisen sind höchstens
kleine "garagenartige" Räume, das Pulvermagazin allseits verschüttet.
Das Fort befindet sich im Besitz des französischen Militärs
und kann relativ unbedenklich aufgesucht werden (Reste von Warnschildern
sind im Dickicht des Waldes verborgen). Auf die üblichen Gefahren einer
Begehung und die besonderen Risiken in den Stollen sei noch einmal gesondert
hingewiesen!
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