Die stadträumliche Entwicklung der Teltower Vorstadt / Potsdam

(1) Historischer und landschaftlicher Kontext
(2) Stadtbauentwicklung (I) bis 1900
 

Aufsatz in der Lehrveranstaltung 
Städtebauliche Denkmalpflege
bei M. Deiters, M.A.,
an der TU Berlin im WS 2000/2001
 

Gruppe 2 (A.Schlecht & NN),

Abteilung 1 und 2:
 André Schlecht, ASD (Matr.Nr. 198729)

5 AS 01


 
 
Inhalt:
 

I Texte:
(1) Historischer und landschaftlicher Kontext
(2) Stadtbauentwicklung (I) bis 1900

II Anlagen:
(1) Quellen
(2) Fußnoten
 
 

III Visualisierung:
(Skizzen über die wichtigsten Entwicklungsphasen)


 
 
I.1
Einführung -
Historischer und landschaftlicher Kontext:








(1) Allgemeine Einführung:

Die Teltower Vorstadt nimmt unter allen Vorstädten Potsdams in historischer, landschaftlicher und städtebaulicher Sicht eine besondere Stellung ein. Als älteste Vorstadt 01 reicht ihre Geschichte rund 400 Jahre zurück bis vor die Zeit der Residenzgründung unter dem Großen Kurfürsten (um 1660). Ihre Entwicklung vollzog sich aufgrund der besonderen Standortfaktoren seitdem mehr oder weniger kontinuierlich stets im Spannungsfeld zwischen der naturräumlichen und kulturlandschaftlichen Verknüpfung einerseits, der Dominanz gewerblicher und/oder staatlicher Flächennutzung andererseits. Der hier untersuchte Stadtraum kann zusammenfassend aus gewerblicher Sicht als idealtypische Vorstadt und exemplarisches Beispiel merkantilistisch-frühkapitalistischer "Regionalplanung" gelten, weist andererseits eine besondere Dominanz topographischer Einflüsse auf, die die städtebauliche und architektonische Entwicklung unmittelbar bestimmt haben.

(2) Naturräumliche Einbindung und Kulturlandschaft:

(2.1) Topographie:
Die Topographie des südwestlichen Havellandes ist unmittelbar durch die Eisrandlage während der letzten,  sogenannten Weichsel-Eiszeit (vor ca. 20.000 Jahren) geprägt und weist alle Strukturen einer idealtypischen postglazialen Landschaft auf 02. Es wirkt insbesondere der spannungsvolle Kontrast zwischen der ebenen, größtenteils gefluteten Havelniederung, einem Nebenarm des großen brandenburgischen Urstromtales, sowie den End- und Grundmoränen der Havelhöhen. Unfruchtbare Sanderflächen am Moränenfuß sowie ausgedehnte Feucht- und Moorgebiete in den Niederungen stehen den fruchtbaren Moränenkuppen gegenüber. Die "Insel Potsdam" wird als eine weite Senke im Haveltal in einiger Entfernung allseits durch flache, langgestreckte End- und Grundmoränen umschlossen; alleine im Südosten schiebt sich die doppelte Endmoräne des kleinen, kuppigen "Brauhausberges" sowie des längeren, flachgeneigten "Telegraphenberges" bis unmittelbar an den Fluß heran. Der Flußsee verengt sich an dieser Stelle und mäandert in zwei Armen, der sog. "Neuen" und "Alten Fahrt". Eben an dieser Stelle fließt das kleine Flüßchen Nuthe, sich von Osten aus der Grundmoräne der Teltower  Niederung (oder des Teltow) nähernd, in die Havel, wobei es ehemals (vor mehreren baulichen Eingriffen, s.u.) ein gewundenes Bett aufwies und ein mooriges Überschemmungsgebiet im Bereich der heutigen Teltower Vorstadt und dem nördlichen Nowawes bildete 03 . Diese topographische Besonderheit - die übrigen Vorstädte liegen zumeist eben im Haveltal - bildet die Grundlage für das Spannungsfeld der Teltower Vorstadt zwischen gewerblicher Nutzung der Niederung einerseits und landschaftlicher Resourcen auf den Höhen andererseits: Der  visuelle Markpunkt (und die landwirtschaftlich günstigen Hänge) der Moräne als Ausgang einer (2.2) kulturlandschaftlichen Orientierung, die verkehrs- und energietechnischen Optionen am Zusammenfluß von Nuthe und Havel, im Kontext mit der Ausrichtung nach Berlin, als Standortfaktoren für die (3) gewerbliche Entwicklung. Beide Nutzungskonzepte stehen vom Beginn der Residenzgründung an gleichwertig und parallel nebeneinander, wobei die jeweilige Dominanz von Zeit zu Zeit wechselt.

(2.2) Kulturlandschaft:
Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wird (durch den preussischen Hofstaat) die Potsdamer Peripherie als eine in sich geschlossene, einheitliche Kulturlandschaft 04 verstanden und als solche einer übergeordneten Regionalplanung unterworfen. Es ist damit der innige Kontext topographischer Grundstrukturen, historischer Parkflächen und solitärer Bauten sowie der  dominanten Stadtgebäude und Verkehrsachsen bezeichnet, Komponenten eines Gesamtensembles also, die seit jeher  eigendynamisch in einer visuellen Beziehung stehen bzw. künstlich in eine solche gesetzt wurden. Im Zeitalter der "Früh-, Hoch- und Spätromantik" unter den Königen Friedrich Wilhelm III (1797-1840) und Friedrich Wilhelm IV (1840-1861) kurz vor und zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden die in den letzten 100 Jahren entstandenen Parkanlagen - und darüberhinaus die städtischen und ländlichen Nutzflächen - zusehends als ein Ensemble verstanden, das in erster  Linie aus der günstigen Topographie resultiert. Waren im Barock - auch noch in der Zeit des eklektizistischen und historisierenden Friedrich II die Sichtbeziehungen in erster  Linie auf die unnatürlichen, gekünstelten Parkebenen bezogen, wurde nunmehr die gesamte Potsdamer Peripherie mit ihren Höhen und Seeufern in das Gesamtkonzept einbezogen. Das Streben nach einem "Preussischen Arkadien", die Idee, ein "großes Gesamtbild" 05 zu errichten, ist die Motivation jener "Epoche der Empfindsamkeit" und findet ihren späten Höhepunkt im sogenannten "Verschönerungsplan" von 1833: Hier faßt der große Gartenbaumeister Lenné sämtliche bestehenden Anlagen durch eine System von Alleen und Blickschneisen zu einer innigen Einheit zusammen. Bauten und Parks des hohen und späten 19. Jahrhunderts werden sich in dieses Konzept weitgehend einfügen. Die Dominanz liegt stets auf achsialen Wegen oder auch nur Blickschneisen, die sich zumeist zwischen zwei markanten Orientierungspunkten auf den Höhen, den sogenannten Belvederes 06 , oder erhabenen Markpunkten in der Ebene (Kirchtürme und Schloßkuppeln) entfalten Es mag dabei die jüngst errichtete Telegraphenstation auf dem Brauhausberg, der optische Zeiger von 1832, als letzter Katalysator für die Bewußtwerdung der landschaftsplanerischen Möglichkeiten gedient haben (s.u.) und steht sicherlich als "Icon" für die Systematik der visuellen Verknüpfungen 07 . Mitte des 19. Jahrhunderts ist das Ensemble - soweit nicht bestehende Funktionsbereiche wie Gewerbe- und  Verkehrsflächen (dies gilt besonders für die Teltower Vorstadt) dem entgegenstehen - weitgehend geschlossen , so daß die Markpunkte im Stadtgebiet, die Hauptparks von Sanssouci und dem Neuen Garten, die Grünflächen auf dem östlichen Havelufer (Glienicke und Babelsberg) bis hin zum weit entfenten Sacrow und den Latifundien (ehemals gewerblichen Krongütern) von Bornim und Bornstedt als eine einzige zusammenhängende Kulturlandschaft bestehen.
Wenn die Potsdamer Peripherie seit gut einem Jahrzehnt als "Weltkulturerbe" gilt, so ist damit in erster Linie das spannungsvolle Gesamtensemble gemeint, in welchem Architektur, Städtebau und Gartenplanung auf der Basis einer vorteilhaften Topographie eine untrennbare Einheit bilden; hier sind Kultur - und Naturlandschaft zu einem Begriff verschmolzen! 08
Die bewaldete Doppelmoräne von Brauhaus- und Telegraphenberg mit ihrem Belvedere von 1803  stellt einen wichtigen Teil dieses Systemes dar, wird aber im 19. Jahrhundert zusehends eingeengt zwischen den Gewerbebetrieben der Teltower Vorstadt liegen und zum Jahrhundertende mit staatlichen Großbauten versehen, die sich mehr oder weniger glücklich in die visuelle Verknüpfung fügen; der Widerspruch zwischen Landschaft und Erholung (auf den Braushausberg-Terrassen) einerseits und Verkehr, Verwaltung und Gewerbe rund um das Leipziger Dreieck andererseits wird bis in die Gegenwart andauern.
Die Dominanz der weiträumigen könglichen Gartenanlagen auf dem westlichen Havelufer , v.a. die Bedeutung des Schloßparks von Sanssouci, läßt heute zumeist vergessen, daß die erste bewußte Sichtachse eben diejenige zwischen dem Potsdamer Stadtschloß (dieses ab 1660 westlich der Langen Brücke anstelle der alten Burg errichtet, Ruine nach dem 2. Weltkrieg abgetragen) und dem hervorragenden Brauhausberg war 09 , der damals als königlicher Weinberg bewirtschaftet wurde. Vor Ausbau der Teltower Vorstadt zum wichtigsten Gewerbebereich Potsdams (unter merkantilistischen Erwägungen vorwiegend in friderizianischer Zeit) lag die Dominanz dieser Gegend somit gerade auf dem landschaftlichen (und landwirtschaftlichen) Kontext, wie insbesondere aus Bauzeichungen und Entwurfsplanungen  während des zweiten Umbaues des Potsdamers Stadtschlosses hervorgeht - So wurde der französisch angelegten Park an der Havel ausdrücklich zum Brauhausberg orientiert und mit mehreren Pavillons in diese Richtung versehen. Ob die Ausführung der geplanten monumentalen Kaskade auf dem Brauhausberg, als Mark - und Höhepunkt der visuellen Hauptachse vorgesehen, überhaupt begonnen wurde, ist allerdings fraglich; die Bauzeichungen dieser Anlage belegen jedenfalls den herausragenden Status der Moräne als Teil des naturräumlichen Ensembles 010. Es kann somit paradoxerweise dieser Bereich der  im weiteren vielmehr durch Gewerbe dominiertenTeltower Vorstadt als Urzelle jenes kulturlandschaftlichen Ensembles gesehen werden, das später so eifrig vorangetrieben wurde und heute eines "Weltkulturerbes" würdig erscheint.
In diesem Zusammenhang wirkt auch das Belvedere auf dem Brauhausberg aufschlußreich, welches, 1803 von Friedrich Wilhelm III für seine Königin Luise als einfacher Aussichtsturm errichtet, als erstes Sichtzeichen in der Topographie bezeichnet werden kann. Wurden schon in friderizianischer Zeit auf den nördlichen Hängen von Sanssouci das Klausberg-Belvedere und das Drachenhaus angelegt, waren diese doch noch ganz auf die Parkfläche selbst bezogen - Nun findet sich aber erstmals ein Markpunkt, der ausdrücklich die topographische Situation berücksichtigt und Teil des Ensembles von Stadt und Umland ist 011 .
Infolge dieser Erwägungen - und im Einklang mit dem "Verschönerungsplan" - sind auch die Havelspeicher am Nordwesthang des Brauhausberges zu verstehen, die Mitte des 19. Jahrhunderts von hervorragenden Architekten (u.a. Schinkel und Persius) im "romantischen Burgenstil" angelegt oder umgebaut werden - um das Gesamtbild nicht zu beeinträchtigen, mehr noch: um als zusätzliche Markpunkte zu dienen, die nunmehr als "bildwürdig" erscheinen, wie aus der Vielzahl zeitgenössischer Stiche hervorgeht 012 .
 

(3) Faktoren gewerblicher Entwicklung 013:

Parallel zum Status des Natur- und Landschaftsraumes vollzieht sich in der Teltower Vorstadt eine intensive Entwicklung gewerblicher Nutzflächen und/oder staatlicher Großbauten, die aufgrund spezifischer Standortfaktoren bis heute kontinuierlich andauert. Es weist dabei v.a. das 18. Jahrhundert einen erheblichen Entwicklungsschub wirtschaftlicher und staatlich/militärischer Flächennutzung auf, der exemplarisch für die Bestrebungen des Merkantilismus und Frühkapitalismus steht.
Es muß in diesem Zusammenhang kurz auf die sozialökonomische Komponente von Städtebau und "Regionalplanung" in dieser Epoche eingegangen werden: Denn damals vollzog sich die Ansiedlung von Industrieflächen bzw. arbeits- und raumintensiven sowie emissionsreichen Betrieben nicht im Mauerkranz der zumeist bis an die Grenzen ihrer Kapazität bebauten Städte. Die Stadt war noch bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein dem Handel und Einzelhandwerk vorbehalten. Die industrielle Entwicklung dagegen vollzog sich (in frühkapitalistischen Anfängen bereits in der Renaissance) auf den Kron - und Adelsgütern, in einem ungleich günstigeren topographischen, sozialen und baulichen Umfeld - das uns, zumeist gut erhalten, heute als "idyllisch" erscheint, damals jedoch "boomende" Industrielandschaft darstellte! Die Gründe liegen auf der Hand:
(1, über allem:) Energieversorgung durch Wasserkraft (wichtigster Standortfaktor: Die Anlage  von Wassermühlen, zumeist als Hammer-und Mahlmühlen) und/oder Rohstoffvorkommen (z.B. Holzkohle in waldreichen, Torf in moorigen Gebieten), (2) Rohstoffe landwirtschaftlicher Nutzflächen (v.a.in der Textilverarbeitung), (3) Freiraumresourcen, ungenutzte Bauten (z.B. unbewohnbare Burgen) und Entsorgung (Wasserläufe als Abflußrinnen), (4) Arbeitskräfte durch landwirtschaftliche Rationalisierung und/oder das "Legen" von Bauernstellen (zudem kostenminimal, da ohne Ausbildung), (5) Infrastruktur: Transport über (früher:) Wasser- und (später:) Fernstraßen (Chausseen des späten 18. und frühen 19. Jahrunderts).
Für die Teltower Vorstadt gelten mehrere dieser Faktoren beinahe ideal:
Am Zusammenfluß von Nuthe und Havel gelegen, werden nordöstlich des Brauhausberges die Kai- und Speicheranlagen 014 des wichtigen Wasserweges sowie entlang der Havelbucht verschiedene Gewerbebetriebe 015 (z.B. die emissionsreiche Lohgerberei) angeordnet, die schmalere und schneller fließende Nuthe (durch Kanalisierungen später gleichsam schiffbar) bietet sich für die Anlage verschiedener Mühlen und weiterer Industriebetriebe an 016 .  Mitten durch die Vorstadt verläuft mit der "Königsstraße" die bis in das 19. Jahrhundert wichtigste Chausseeverbindung über Zehlendorf nach Berlin, später als Orientierung der Eisenbahntrasse gewählt. Die Lange Brücke 017 (inzwischen in 5. Ausfertigung,  seit dem 14. Jhdt. erwähnt, urkundlich erstmals 1416 als Holzkonstruktion nachgewiesen und seit den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts (Residenzgründung) in Stein ausgeführt) war und ist der Haupt-Übergang zwischen der "Insel Potsdam" und dem Teltow. Dem sogenannten "Leipziger Dreieck", dem verkehrsintensiven Kreuzungspunkt zwischen Langer Brücke und Königsstraße, wird bald auch selbstverständlich der Hauptbahnhof zugeordnet (der allerdings vorerst wenige Impulse für die weitere Stadtentwicklung bringt, s.u.); es stellt bis heute den wichtigsten Verkehrsknoten auf dem östlichen Havelufer dar.
Umfangreiche Freiraumresourcen im königlichen Besitz dienen zumeist als militärische Flächen (Exerzierplätze) oder der landwirtschaftlichen Nutzung (z.B. Maulbeerplantagen und Weinberg). Gerade die Maulbeerplantagen 018 stellen einen typischen Baustein jener merkantilistischen Wirtschafts(re)form, liefert sie doch - im Ersatz aufwendiger Importe aus Fernost - den Rohstoff für die königlichen Seidenmanufakturen mit dem Beweggrund von Rationalisierung und Kostenminimierung (daß sich dabei auch die Qualität der Produkte minimiert, zieht sich durch alle Gewerbebereiche jener Epoche!). Plantagen - und Exerzierflächen werden seit Anfang des 19. Jahrhunderts für die Anlage kommunaler und staatlicher Großbauten (Kadettenanstalt, Wilhelmstift) wie Sonderflächen (Alter+Neuer Friedhof) freigegeben.
Interessanterweise werden die bewaldeten Moränenhöhen niemals dem Gewerbe geopfert. Sie verbleiben dem Kontext "gehobener" Nutzung und werden schließlich durch staatliche Prestigebauten (Kriegsschule) und das Ensemble naturwissenschaftlicher Institute (heute "Wissenschaftspark Alber-Einstein") bebaut.

(3.1) Merkantilismus und Frühkapitalismus 019 :
Es seien an dieser Stelle der Begriff des Merkantilismus (mit seinen frühkapitalistischen Prägungen) kurz erläutert, da dieser - im Kontext mit den topographischen und verkehrstechnischen Vorzügen - letztlich den Katalysator für die vorrangige Entwicklung der Teltower Vorstadt hatte: Der Merkantilismus ist selbstverständliches Resultat der zentralistischen Bestrebungen absolutistisch regierter Flächstaaten und Duodez-Fürstentümern: Nicht zuletzt aus politischen Erwägungen in direkter Konkurrenz  zu den Ständen,  Zünften und Gilden (in ihren zweifellos komplizierten Rechtsverhältnissen) wurden Handel und Gewerbe in einer strikten Hierarchie straff zentralistisch organisiert, wobei dem Fürsten - neben seiner autoritären Machtausübung! - sämtliche Organisationen des Staates zur Verfügung standen: Nutzung und Ergänzung der Infrastruktur, Trockenlegung von Feuchtland, Kanalisierung von Flüssen, Anlage von Chausseen und Speichern, Vorhaltung von Freiflächen und Energienanlagen, Errichtung (Verpachtung und Schenkung) von Manufakturen, Anlage von spezifischen Stadtvierteln für die Arbeitnehmer - Aus dem Zusammenwirken sämtlicher Institutionen und Maßnahmen läßt sich zum ersten Mal eine echte "Stadt- und Regionalplanung" bewerkstelligen.
Die straffe Rationalisierung und Spezialisierung hat rasch (zumeist negative) Konsequenzen für die Jahrhunderte alte Sozialstruktur im Stadt- und Landraum: In teilweise riesigen Gewerbebetrieben arbeiten bis zu mehrere Hundert (in England auch tausende) von schlecht bzw. unausgebildeten Arbeitern, losgelöst aus handwerklicher Arbeitstradition,  Scholle und Familie die "Soziale Frage" (nicht erst im 19. Jahrhundert!) begründend. Das Waisenhaus in Potsdam 020 stellt einen idealtypischen Ausbeuterbetrieb jener Tage dar, indem - unter dem fadenscheinigen Vorwand sozialer Sicherheit - hunderte von Waisen, zumeist Kinder und Jugendliche unter menschenunwürdigen Bedigungen an landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebe vermietet werden, was eigentlich einem Sklavendienst gleichkommt (in Übersee füllen "echte" Sklaven die Taschen der adligen Unternehmer, die sich ihrerseits "schöngeistig" an Philosophie und Literatur berauschen); die Überlebenden dieses Systemes können sich stets eines Platzes in der königlichen Armee "sicher"  sein.
Die Betriebe unterstehen dem Fürsten, werden jedoch zumeist an Großunternehmer verpachtet oder verschenkt, welche (im günstigen Falle) Know-How und/oder Kapital einbringen und im Gegenzug mit Privilegien ausgestattet werden, so daß eine weitreichende Monopolwirtschaft resultiert. Fürst und Unternehmer sind voneinander abhängig - sorgt dieser durch Know-How und Kapital für den ordnungsgmäßen und profitablen Ablauf einer Unternehmung,  garantiert jener die Vorrechte und organisiert die Infrastruktur (es hat jedoch gerade König Friedrich II kein "glückliches Händchen" diesbzüglich, wie exemplarisch der mehrfache Besitzerwechsel der Englischen oder Itzigschen Lohgerberei (s.u.), die häufige Verpachtung oder Schenkung gewerblicher Betriebe an Günstlinge bzw. verdiente Personen des öffentlichen Lebens, oder der Fortgang des Großunternehmers H.C. Schimmelmann aufzeigen) 021 .

Nach ihrem "Boom" im 18. Jahrhundert kann sich die Teltower Vorstadt im 19. Jahrhundert aufgrund gesellschaftlicher und ökonomischer Veränderungen sowie und v.a. der Dominanz der Residenzstadt Potsdam als reine Garnisions- und Verwaltungsmetropole 022  nur noch eingeschränkt entfalten (s.u.: Chronologie 3 / 4). Nun soll in Anlehnung an den Verschönerungsplan (und im Blickfeld der Hofgesellschaft) eine industrialisierte Zone möglichst vermieden werden 023 , wie gleichsam das heterogene Quartier die umfangreiche Beamtenschaft (überwiegend gehobener Bevölkerungsschichten) als Wohnviertel wenig verlockt und sich entsprechend wenig (nunmehr private) Investoren für Wohnbaumaßnahmen finden 024 .  Der Gewerbe- und Siedlungsbau stagniert bis zur Jahrhundertwende, während solitäre Großbauten und Sonderflächen durch Militär, Staat und Kommune laufend ergänzt werden.
Erst nach 1900 entfaltet sich - durch die zunehmende Einflußnahme von Bauvereinen und Genossenschaften - eine  umfangreiche Siedlungsbebauung im südlichen Freiland (ehemals Militärgelände) sowie - gerade auch in jüngster Zeit - das Gewerbe aufgrund der günstigen Verkehrssituation.

(4) Fazit: Auswirkungen der Standortfaktoren auf die städtebauliche Entwicklung:

Aufgrund der  genannten Standortfaktoren lassen sich die Maßnahmen der Stadt- und Regionalplanung für die Teltower Vorstadt im folgenden zusammenfassen:
(4.1) Bauten: 
- Verkehrsbauten (inkl. Urbarmachung): Wasserwege, Landstraßen und Bahntrassen.
- Solitäre Großbauten der militärischen und zivilen Verwaltung, wissenschaftlicher und sozialer Einrichtungen, bis heute mehr oder weniger kontinuierlich entwickelt und genutzt.
- Gewerbe- und Industriebauten mit Bedarf an großen Flächen,  günstiger Verkehrsanbindung sowie an   Ver-und Entsorgung (Dominanz der Wasserflächen).
- Mehr oder weniger planmäßig angelegte Wohn- und Siedlungsbauten vorwiegend niedrigen Standards,
 ursprünglich im Kontext mit ortsansässigen Gewerbebetrieben, Verwaltung und Militär.
(4.2) Landschaftsplanung 
- "Erholung und Freizeit", ursprünglich der Hofgesellschaft vorbehalten.
- Landwirtschaftliche Flächen im Besitz des Königs (Maulbeerplantagen/Weinreben). 
- Bereiche öffentlicher und besonderer Nutzung, zumeist aus Kronland bzw. Militärflächen  hervorgegangen (Friedhöfe,  Wissenschaftspark).
 


 
 
Weiter: (I.2) Chronologie (I, bis 1900) 
 

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